Oberbayern – Eine erfüllbare Seen-Sucht

Wer Oberbayern beschreiben will, kommt um Klischees nicht herum. Zum Beispiel um den weißblauen Himmel, der die sanften Hügel des Voralpenlands überspannt. Oder die Volksfeste im Oberland mit ihren Steckerlfischdüften und dem Klirren der Bierkrüge, das sich in den weichen Dreiviertel-Takt der Blasmusik mischt. Nicht zu vergessen die farbigen Lüftlmalereien an den Hausfassaden, die einen Spaziergang durch Bad Tölz oder Oberammergau zu einem sinnlichen Erlebnis machen.

Oberbayern ist eben nicht nur einer von sieben bayerischen Regierungsbezirken, von dessen rund 4,5 Millionen Einwohnern jeder Dritte in der Landeshauptstadt München lebt: Die Region zwischen Donau und Alpen prägt das Deutschlandbild ganzer Völker. Wo einst preußische Pickelhaube und forsche Zackigkeit die Wahrnehmung beherrschten, bestimmen heute Lederhose, Königsschlösser und fröhliche Bierseligkeit das Bild – Oberbayern eben. Kein schlechter Tausch, auch wenn es sich dabei nur um einen kleines Puzzleteil im Gemälde Bundesrepublik handelt.

Das Land der glitzernden Seen und Gewässer

Doch so ganz falsch ist dieses Puzzleteil natürlich nicht: Zwischen München und der Grenze zu Österreich erstreckt sich tatsächlich ein Reigen der Schönheiten. Allein die Seen! Mehr als hundert Gewässer glitzern in der Sonne, oft genug vor malerischer Bergkulisse. Gleich im Süden von München liegt etwa das Fünfseenland – so etwas wie bayerische Côte d’Azur. Seine Ecken markieren der mondäne Starnberger See, mit 49 Kilometer Uferlänge der größte der Fünf, der bäuerliche Ammersee und ihre kleineren Geschwister Wörthsee, Pilsensee und Weßlinger See. An schönen Wochenenden strömt halb München ans Wasser. Man flaniert über die Strandpromenaden, liegt an schattigen Seeufern unter alten Eichen und Buchen oder zieht seine Bahnen als Schwimmer, Surfer und Segler durch die Fluten.

Ein Freizeitparadies ist auch der Tegernsee, der ein gutes Stück weiter südöstlich liegt. Inmitten eines Bilderbuchbayerns schmiegt er sich leuchtend blau zwischen die sanften Waldkuppen, überragt vom breiten Rücken des Wallbergs. Diese Lage zog schon früh die ersten Sommerfrischler an. Bereits um 1850 verdienten sich die Tegernseer Bauern ein Zubrot, indem sie ihre Schlafstuben an die „Stadterer“ – urlaubende Stadtbewohner – vermieteten. Der habsburgische Kaiser aus Wien oder die Zaren aus Russland schliefen wenige Jahrzehnte später schon in fürstlichen Hotelbetten. Maler und Schriftsteller ließen sich hier inspirieren, die bayerischen Dichter Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer lebten an seinen Ufern. Die Beliebtheit des Tegernsees ist seitdem noch kräftig gewachsen, deshalb sollte man rund um die Gemeinden Bad Wiessee, Gmund, Rottach-Egern und Tegernsee nicht lange nach versteckten Badebuchten suchen – die gibt es leider nicht. Schöne Strandbäder natürlich schon.

Wandern, Radfahren, Reiten, Tauchen, Windsurfen…

Am Walchensee ist es da schon etwas ruhiger. Auf 803 Meter Höhe zwängt sich dieser Bergsee zwischen Jochberg, Herzogstand und den Ausläufern des Karwendels. Je nach Sonnenstand schimmert seine Oberfläche grün bis türkis, vor einem Gewitter glänzt sie auch schon mal märchenschwarz. Taucher lieben dieses Gewässer wegen der Legenden um versunkene Klosterschätze und wegen seiner Steilwände, die erst auf fast 200 Meter Tiefe enden. Windsurfer finden dank der Lage zwischen den Bergen, durch die die Luft wie in einer Düse zischt, tolle Windverhältnisse. Zu früh sollte man allerdings nicht ins Nass springen. Bis weit in den Mai hinein sorgt das Schmelzwasser aus den umliegenden Bergen für kühle Temperaturen.

Das größte unter den bayerischen Gewässern ist der Chiemsee. Vor der Kette der Chiemgauer Alpen räkelt sich das mehr als 80 Quadratkilometer zählende „Bayerische Meer“ in der flachen Ebene. Obwohl die meisten Uferkilometer naturbelassen sind, Weidenbüsche und Auwald bis ans Wasser reichen, bieten die Strandbäder der Anliegergemeinden noch genügend Wasserspaß. Bei übersee etwa befindet sich die längste zusammenhängende Bademeile Süddeutschlands: ein fünf Kilometer langer Naturstrand, der sich in eine grüne Parklandschaft bettet. Die größte Attraktion des Chiemsees sind jedoch seine Inseln, die von den Ausflugsdampfern der Chiemseeflotte angesteuert werden. Auf der Herreninsel bewundern jährlich Hunderttausende das Prunkschloss von König Ludwig II. im Stile von Versailles. Die benachbarte Fraueninsel, gerade mal 300 Meter breit und 600 Meter lang, verzaubert mit ihrem alten Kloster und der beschaulichen dörflichen Idylle. Noch immer leben rund 300 Einwohner auf diesem Eiland, dazu etwa drei Dutzend Klosterschwestern. Ein Rundgang führt vorbei an blühenden Vorgärten und an den zum Trocknen aufgestellten Schüsseln und Krügen der Inseltöpferei. Und endet am besten bei einer frisch gefangenen Chiemsee-Renke auf der Terrasse des Inselwirts. Hier lässt sich wunderbar darüber sinnieren, dass die beiden Nachbarinseln Bayern fast wie in einer Nussschale präsentieren: katholisch, monarchisch, idyllisch.